Lesezeit ca. 9 Minuten
Universitätsbibliothek der Technischen Universität Dortmund
Bauzeit: 1974-1976
Architekt: Albin Hennig, Dieter Dietrich, Architekten BDA, Mitarbeiter Gerhard Fritz, Uwe Sörensen
Status: bedroht
Geplanter Abriss: 2024
Vogelpothsweg 76
Das 47 Jahre junge Monster lebt auf geborgter Zeit. Abrissphantasien schwirren schon länger durch die Luft.
Der Teppichboden schluckt den Schall. Draußen zieht geschäftiges Treiben vorbei. Es ist, als sitze man im Eisenbahnwaggon oder auf der Brücke eines Schiffs. Durch das Fensterband betrachtet man in Seelenruhe was unten vorbeizieht. Sanft raschelt Laub auf Augenhöhe. Sonst gelassene Stille. Hier wird gelernt, sich auch konzentriert, aber hier gibt es keine Prüfungen, keine Professoren und keine Creditpoints: Ein Raum für die Studierenden. Überraschend, wie respektvoll alle die Stille wahren. Menschlich, von übersichtlicher Dimension ist die Großform der Bibliothek hier, fast häuslich. Wie gemütliche Galerien in einem Wohnzimmer fühlen sich die kleinen Wendeltreppen in den Lufträumen an, umgeben von Wänden aus Beton, Glas, Blech, Regalen voller Leinen-, Leder- und Papereinbänden.
Sucht man das Gespräch, geht man ins Erdgeschoss. Kein Ruhebereich: Hier findet Austausch statt. Lebendig, manchmal auch chaotisch ist es. Das Lernen im Erdgeschoss ist Kult unter den Studierenden. Seitdem der anstehende Abriss kommuniziert wird, verabschiedet sich der populäre Instagram-Account tudortmundmemes von der Bib.
In Kommentaren bekunden Studierende ihre Trauer. Nicht Architekturstudierende, die der Nachkriegsmoderne verfallen sind, nicht radikale Klimaschützer, sondern eine breite Masse ist traurig, dass die Bib verschwinden soll. Ein Maschinenbaustudent fordert die Unterschutzstellung ein. Wir sprechen mit einem an der Uni angestellten Fotografen, kein Freund von Brutalismus: Die RUB sei ja hässlich, da steht so viel unter Denkmalschutz, Unverständnis, dass stattdessen »so etwas Besonderes« weichen muss. Wir sprechen mit Kommilitonen, die mit uns Architektur studieren: Klare Sympathien, aber auch Ablehnung für Brutalismus, dabei aber immer Anerkennung für das hohe Maß an Gestaltung. Wir sprechen in der Kneipe, auf dem Unifest, beim Warten auf der Mensabrücke mit Maschinenbauern, Lehrämtlern, Wirtschaftswissenschaftlern: Sympathie überwiegt. Sätze wie »so hässlich, dass es schon wieder geil ist«, »auf jeden Fall besser als der langweilige Neubau«, »sie gehört nunmal dazu«. Sympathien für den Neubau gibt es nur weil er dann »moderner« sei, kein einziges positives Wort zum Dudler-Entwurf. Meist Ablehnung des Neubaus: »viel zu groß«, »autoritär«, »Betonkäfig«, »anonym«, »austauschbar«. Auffallend oft Ablehnung von Brutalismus (Physik-Gebäude, EF50, RUB), bei gleichzeitig hoher Wertschätzung der Bibliothek. In den letzten Stunden der regulären Öffnungszeit vor ihrer permanenten Schließung fertigen Studierende aller erdenklicher Disziplinen letzte Fotos an, Pizzakartons stapeln sich von kleinen Abschiedsfeiern.
Noch um Mitternacht, nachdem die Türen verfrüht für immer geschlossen wurden, lassen die Studierenden nicht los. Post-Its mit Abschiedsnachrichten hat man am nächsten Morgen schon wieder verschwinden lassen. Ein Sicherheitsmann schildert uns seine Erfahrungen von 16 Jahren in der Universitätsbibliothek, unter anderem, wie zwei Studierende im Hörsaal im Erdgeschoss ihre Hochzeit gefeiert haben, nachdem sie sich beim Lernen in der Bibliothek kennengelernt haben. Ohne Zweifel ist das Gebäude identitätsstiftend für die viele Angehörige der TU Dortmund. Ratlosigkeit warum sie abgerissen werden muss. Seine Idee: Kanzler und Rektor sollen sich ihr schickes neues Büro doch auf dem Parkplatz neben der A40 bauen lassen.
2018 zeichnet die Initiative »Big Beautiful Buildings« das Ensemble aus Mensa, Mathe-Turm, EF50 und H-Bahn aus. Der abseitsstehende, von seinem Architekten verschmähte »Fertigbaukasten« und von den Studierenden als »Bunker« betitelte Bau der ehemaligen pädagogischen Hochschule EF50, welcher sich »weniger durch seine architektonische Qualität als durch [seine] flexiblen Strukturen« auszeichne, gehört dazu, auch der NRW-75-Baukasten-Matheturm (unter Studierenden auch »Selbstmordturm«). Die anspruchsvoll gestaltete Universitätsbibliothek inmitten der Vier nicht: Abriss weil sie nicht »beispielhaft« ist oder ist sie nicht »beispielhaft«, weil man sie abreißen will? Im Privatgespräch teilt ein Lehrender uns mit, dass man sie ausgelassen hat, weil man sich damals den Abriss schon gewünscht hat. Architekturhistoriker Hans H. Hanke schreibt über das Ensemble: »Obwohl den Hausbau der Universität Planungswechsel, Finanzierungsprobleme und Konzeptwechsel prägen, zeichnet den Zentralbereich eine erlebbare Einheit von Individuen aus.«. Das lockere Zusammenspiel mit seinen wohlproportionierten Freiflächen, die ineinanderfließenden Plätze, Wege und Grünflächen sind Aufenthaltsqualitäten, die aus eigener Erfahrung täglich von vielen genutzt werden. Prof. Dr. Ursula Gather, die später den Abriss vorantrieb, erkannte die UB »zentral gelegen« als »das Herz der Universität«, als »beliebten Ort zum Lernen, Lesen und Schreiben für viele Studierende«“. Auch Hanke sieht eine »komfortable Bibliothek«, die [c]harakteristisches Herzstück der TU Dortmund«. ist und deren »denkmalrechtliche Würdigung« ausstehe.
Ihre Formen regen die Phantasie von vielen die man fragt an. Das Gesamtgebilde sei ein großer Käfer mit dünnen Beinchen, das Dach eine Toblerone. Die Fachliteratur spricht von einem »Zinnenkranz«. Tatsächlich sollen die Zinnen den Audi Max in Bochum zitieren. Das Verhältnis zur Bochumer Universität in Architektur kommuniziert durch Kontrast und Ähnlichkeit: Konkurrenz und Kooperation.
Bochum ist mit seinem orthogonalen Raster dominiert von strenger Regelmäßigkeit, auch die UB dort von Bruno Lambart ist eckiger, klotziger. Die RUB-Verwaltung von Albin Hennig mit großer Ähnlichkeit – auch Weserkies, auch lange Beine, auch verschwindende untere Geschosse – ist ähnlich und doch unmissverständlich RUB, weil sie eben Ecken hat.
Dortmund ist der Gegenentwurf: Weiche 45-Grad-Kanten lassen einen vorbeigleiten. Ein lockeres Zusammenspiel mit wohlproportionierten Freiflächen, mit ineinanderfließenden, plätschernden Wegen, Plätzen und Grünflächen. In Dortmund hebt sich ein Maulwurfshügel aus der grünen Wiese. Das ganze Ensemble kriegt durch die durch die Luft schwirrende H-Bahn noch ein Sahnehäubchen.
Doch selbst für Studierende, die keinen großen Wert im Erhalt des Bestandsgebäudes sehen, ist es nur belästigend, dass das Herz nicht mehr schlägt. Das Gebäude, was die Lernplätze ersetzen soll, ist ein notdürftiger Containerbau, der mit einer Hand voll Studierender bereits überlastet ist und nicht einmal einen Aufenthaltsraum für den von der Uni selbst bestellten Pförtner hat (»Glaubt ihr ich möchte hier sein?«) und die Sebrathsbibliothek ist lässige 1,8 km vom Zentralbereich entfernt, 16 Minuten mit dem Bus. Der Neubau soll, wenn alles ohne Verzögerung im Sinne der Bauherren läuft, 2028/29 fertiggestellt sein. Das bedeutet, es wird viele Studierende geben, die nie eine funktionierende Universitätsbibliothek gekannt haben.
Auch wenn unsere Bibliothek ihr Aussehen trägt, die Welt vor der Ölkrise kennt sie nicht, die Wände sind mehrschalig als Beton-Sandwich-Konstruktion ausgeführt. Das Fensterband hat feststehende Sonnenblenden, um die Mittagssonne auszusperren, Sheddächer lassen Nordlicht herein um das natürliche Licht auszunutzen. Der 60er-Bau der Württembergischen Landesbibliothek weist u.a. durch seine Kerndämmung, einer nach Sonnenstand ausgerichteten Kubatur und frühe Isolierverglasung, so gute Wärmedämmeigenschaften auf, dass die Bauphysiker verblüfft zweimal nachgerechnet haben, Merkmale die unser Bestandgebäude auch aufweist. Ob so eine Prüfung bei uns stattgefunden hat, ist mir nicht bekannt, zumindest werden nirgendwo konkrete Zahlen genannt. Das Bestandsgebäude sei nur »energetisch höchst ineffizient«, eine »Ertüchtigung des Altbaus […] unwirtschaftlich«. Die Folgekosten von Treibhausgasemissionen sind heute bezifferbar und trotzdem nicht Teil der Rechnung. Bekannt sollte sein, dass 600kg CO2-Emissionen pro Tonne Beton anfallen, Ca. 8% der globalen Treibhausgasemissionen fallen auf die Produktion und Verwendung von Beton an. Eine einzelne 7,5×7,5m-Bodenplatte der Bochumer Universitätsgebäude beispielsweise wiegt 36 Tonnen. Der Neubau soll 9 Geschosse aufweisen, auf dem gleichen ca. 80x60m großen Grundstück, wie die jetzige Bibliothek. Der grobe Überschlag ergibt 15,5 Millionen Kilo CO2, nur für den Beton der Bodenplatten. Man will »alle heutigen Standorte der Universitätsbibliothek integrieren«, eine Zentralisierung vornehmen, damit beispielsweise Architekten, Bauingenieure und Raumplaner in Zukunft vom Südcampus pendeln dürfen, um etwas nachzuschlagen. Man würde sich wünschen, dass die Verantwortlichen beim BLB NRW und an der TU Dortmund die Mode von heute und morgen erkennen und Unmengen gespeicherter grauer Energie nicht verschwenden. Das Versprechen des »Materialkatasters« ist angesichts der schieren Menge an Materialien, die wohl kaum wiederverwendet werden nur lachhaft. Ortbeton, schrillgelbe Teppichböden, ein proprietäres knallig rotes Regalsystem von Thyssen, direkt aus den Hochöfen des Ruhrgebiets.
Das Dach bietet große Flächen für eine Photovoltaikanlage. Der Bestandsbau hat ca. 1000 Lernplätze, der Neubau soll nur 500 mehr haben. Eine Zahl, die das Bestandsgebäude ohne Probleme übertreffen würde, wenn man die Büros des 1. OGs auslagern und in Lernräume umwandeln würde. Auch »Begegnungsräume« gibt es im EG des Bestandsbaus. Räumt man die Automaten weg und stellt stattdessen eine Kaffeetheke auf, ist auch diese Forderung des Neubaus erfüllt, warum das nötig sein soll, erschließt sich mir jedoch nicht. Das Campusnavi listet im 200m-Umkreis nicht weniger als sieben gastronomische Angebote, darunter direkt gegenüber die bereits erwähnte Hauptmensa und noch näher die Food-Fakultät.
Max Dudler, Architekt des geplanten Neubaus, propagiert auf seiner Website das Mantra des Weiterbauens und wolle »nichts […] halten von Modeströmungen, die sich nur als kurzlebige Lösungen erweisen«. Für uns hat er jedoch kein Weiterbauen übrig, sondern nur eine verschwenderische Abrissorgie.
Mode ist es, die Aufbruchsarchitektur der Nachkriegszeit zu verschmähen, ihre Qualitäten zu ignorieren. Mode ist es, in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit das bauliche Erbe eines funktionierenden Wohlfahrtsstaats – von »Bildung für Alle« – zu tilgen und gegen die sterile Hochglanzästhetik des liberalen Ellbogenkapitalismus zu ersetzen.
Der leitende Bibiliotheksdirektor wusste 2015 schon, dass die Bibliothek »immer mehr zum zentralen Servicezentrum der TU« wird und von »3.800 Besuchern täglich stark frequentiert wird«, 2017 äußert er »[d]ie UB ist seit Langem mehr als nur ein Bücherlager… Ja, sie ist ein beliebter Lern- und Kommunikationsort. Das wird sie künftig noch mehr sein.«. 2019 wird als Grund, dass man abreißen müsse, jetzt der gleiche Bibliotheksdirektor zitiert: »Die Bibliothek als reines Bücherlager hat sich längst überlebt.«, man brauche »ein Servicezentrum für die gesamte TU Dortmund«.
Will man Aufnahmen anfertigen, ohne die Persönlichkeitsrechte unzähliger Studierender zu verletzen, empfiehlt sich ein Samstagabend am Semesteranfang während eines BVB-Heimspiels. Selbst dann sitzen noch Einige konzentriert an den Tischen. Das »reine Bücherlager« ist normalerweise bis zum Ende der Öffnungszeiten vollgepackt mit Studierenden, die sich aus unerklärlichen Gründen dort aufhalten wollen.
Ob der vergitterte Glaskasten, der an der Stelle des Bibliotheksbaus entstehen soll, wirklich »Strahlkraft für die gesamte Region« haben wird, wie die damalige Rektorin angekündigt hat, oder letzten Endes nicht doch wirken wird, wie ein beliebiges Büro- oder Verwaltungsgebäude in Slough, Pittsburgh oder Braubach, lässt sich erahnen. Von dem Entwurf einen – von der Rektorin implizierten – Bilbaoeffekt zu erwarten, kann wirklich nur Stirnrunzeln erzeugen. Viel mehr wird der Neubau ohne große gestalterische Ansprüche und dafür umso größerer Präsenz und Strenge das bestehende Ensemble stören und entwerten: Neun Geschosse um Studierenden den siebten täglichen Kaffee anzudrehen, die Konjunktur der Bauindustrie am Leben zu halten und vermutlich, weil Kanzler und Rektor keine Lust mehr auf ihre Büros am Südcampus haben.
»Abreißen kann man immer alles, es ist die Frage, ob’s dann besser wird. Wir können uns gar nicht leisten alles abzureißen, wenn’s gleich oder ähnlich wieder aufgestellt wird […]. «
Fritz Eller
Die vier „Big Beautiful Buildings“ verlieren ihre totgeschwiegene Schwester, sie ist in den Todestrakt überführt, die Türen für immer verschlossen. Die verurteile Generation Xerin ist zu jung, um als „Best-Ager“ durchzugehen. Noch 20 Jahre fehlen ihr bis zur Rente. Der Tötungsakt soll nächstes Frühjahr vollzogen werden.
Verlust von Erinnerung, Charakter, Identität, Architektur und den edlen Ambitionen vergangener Tage.
Verlust eines idealen Ensembles der Nachkriegsmoderne.
Verlust von Unmengen grauer Energie.
Verlust unserer Bib.
Tod mit 47 Jahren.
Quellen: [ausklappen] ↴
Gespräch mit Sicherheitspersonal
Gespräche mit Studierenden
Gespräche mit Lehrpersonal
https://bigbeautifulbuildings.de/objekte/mensa-der-technischen-universitaet-dortmund
https://bigbeautifulbuildings.de/objekte/technische-universitaet-dortmund
https://bigbeautifulbuildings.de/objekte/tu-dortmund-ef50
https://bigbeautifulbuildings.de/objekte/h-bahn-der-technischen-universitaet-dortmund
https://www.gg-architekt.de/projekte/unibibdort/projekt_unibibdort.php
https://www.tu-dortmund.de/storages/tu_website/Referat_1/Presseseite/Pressemitteilungen/PM_2019/2019_208_neue_Bibliothek.pdf
https://vs-architekten.de/neue-bibliothek-fuer-die-tu-dortmun
https://www.maxdudler.de/
https://vs-architekten.de/neue-bibliothek-fuer-die-tu-dortmund
https://www.tu-dortmund.de/beschaeftigte/campus/bauprojekte/
https://www.archlab.de/projekte/forschung/tu-bibliothek-dortmund/
Deutsche Bauzeitschrift, Ausgabe 5/82
50 FESTSCHRIFT – Universitätsbibliothek – 1965-2015, Hrsg. Technische Universität Dortmund, V.i.S.d.P.: Bibliotheksdirektor Dr. Joachim Kreische, 2015
50 Jahre Technische Universität Dortmund, Hrsg. Technische Universität Dortmund, Referat Hochschulkommunikation, 2017
Tim Rieniets, Christine Kämmerer, StadtBauKultur NRW: Architektur der 1950er bis 1970er Jahre im Ruhrgebiet – Als die Zukunft gebaut wurde, ISBN 978-3-86206-758-9
Cornelia Jöchner, Frank Schmitz, Hrsg. Richard Hoppe-Sailer: Ruhr-Universität Bochum – Architektur der Nachkriegsmoderne, ISBN 978-3-7861-2744-4
Alexandra Apfelbaum: Bruno Lambart: Architektur im Wandel der Bonner Republik, ISBN 978-3-86206-661-2
Yasemin Utku, Christa Reicher, Alexandra Apfelbaum, Martin Bredenbeck Magdalena Leyser-Droste: Im großen Maßstab – Riesen in der Stadt- Beiträge zur städtebaulichen Denkmalpflege, Klartext Verlag, Essen, 2017, ISBN: 978-3-8375-1703-3